"Utopien für Realisten" von Rutger Bregman
Rezension

Ideen für eine bessere Zukunft – „Utopien für Realisten“ von Rutger Bregman

Beim Blick in die Zeitung oder beim Nachdenken über verschiedene Probleme unserer Gesellschaft bekommt man manchmal das Gefühl, dass alles ganz furchtbar schlecht und auswegslos ist. Dabei geht es uns in vielen Bereichen so gut wie nie. Der niederländische Autor Rutger Bregman ordnet den historischen Fortschritt ein und plädiert für neue Utopien.

Gibt es Utopien für Realisten?

Wer glaubt, dass Utopien nur etwas für Idealisten sind, der irrt sich. Bregman beginnt sein Buch mit einer kleinen Einführung in die Geschichte und beschreibt wie Utopien in vielen Fällen zu einer Verbesserung der Verhältnisse führte. Außerdem ordnet er auf ruhige und sachliche Art unsere aktuelle Gegenwart ein: Geringere Wahrscheinlichkeiten für Krankheiten bzw. teilweise ein Verschwinden von (tödlichen) Krankheiten, eine allgemein höhere Lebenserwartung und eine Verteilung von Wohlstand über verschiedene Länder bzw. Gesellschaftsgruppen hinweg. Auch wenn man mitunter einen ganz anderen Eindruck unserer Realität hat: Tatsächlich hat sich in den vergangenen Jahrhunderten die Welt insgesamt für alle verbessert. Natürlich gibt es noch immer eklatante Probleme, zum Beispiel eine starke Konzentration von Wohlstand. Der Glaube, dass es zu irgendeinem Zeitpunkt in der Geschichte aber besser gewesen sei, der trügt.

„Das wahre Problem unserer Zeit ist nicht, dass es uns nicht gut ginge oder dass es uns in Zukunft schlechter gehen könnte. Das wahre Problem ist, dass wir uns nichts besseres vorstellen können.“

Utopien für Realisten von Rutger Bregman, Seite 18

Ausgehend von dieser Analyse kommt Bregman zu dem Schluss, dass das Problem unserer heutigen Gesellschaft in fehlenden Utopien für eine bessere Zukunft liegt. Denn wenn wir keine positiven Visionen haben, haben wir auch kein Ziel in welche wir unsere Entwicklung steuern. Dabei existieren ja bereits einige Utopien, wie beispielsweise das im Untertitel des Buches angesprochene bedingungslose Grundeinkommen, welches auch immer wieder medial bzw. gesellschaftlich diskutiert wird. Allzu oft werden jedoch solche moderne Utopien als unrealistisch und unumsetzbar wahrgenommen. Dass diese Utopien viel weniger unrealistisch sind als wir mitunter glauben, zeigt Bregman anhand einzelner Beispiele.

Wie wird sich unsere Gesellschaft in den nächsten Jahrhunderten wandeln?

Utopien für Realisten trägt den Untertitel Die Zeit ist reif für die 15-Stunden-Woche, offene Grenzen und das bedingungslose Grundeinkommen und fasst damit schon ganz gut zusammen, in welche Richtung Bregman denkt: Mit zunehmender Industrialisierung und Automatisierung wächst unser Wohlstand, während sich die Arbeitswelt rasant verändert. Ein weiter so mit Fokus auf Arbeitslosenzahlen, BIP und den Wettlauf gegen die Maschine kann es langfristig nicht geben. Stattdessen müssen wir unseren Wohlstand fundamental neu bewerten. Denn bereit jetzt konzentriert sich die Debatte um Wohlstand nur völlig falsche Kennziffern. Während Care Arbeit, Ehrenamt und Freizeit (welche ebenfalls produktive Effekte hat) im BIP unberücksichtigt bleiben, erhöhen Umweltverschmutzung, Krankheit oder Scheidung das BIP, weil sie Arbeit schaffen. Dass dies gesellschaftlich ungünstig wirkt, sollte jedem klar sein. So zeigen Untersuchungen, dass in den Ländern der Welt mit dem höchsten BIP pro Kopf auch am meisten soziale Probleme herrschen.

Mal eher wirtschaftstheoretisch, mal mit konkreten Beispielen von umgesetzten Modellversuchen und ihren Auswirkungen beschäftigt Bregman sich mit Armut, Entwicklungshilfe oder einer modernen Arbeitswelt. Und zeigt dabei auf: Unsere Welt lässt sich an vielen Punkten verbessern. Das ist an vielen Stellen tröstlich, an manchen Stellen aber auch deprimierend, weil positive Entwicklungen so umsetzbar scheinen und dennoch zum Scheitern verurteilt sind solche kein gesellschaftlicher Konsens über die Notwendigkeit der Veränderung gefunden werden kann. Dennoch hat das Buch mich sehr zum Nachdenken angeregt und auch dazu geführt, dass ich so manch aufgeregte Debatte mit weit weniger Emotionen und mehr Optimismus betrachte.

Fazit: Rutger Bregman mit einem Plädoyer für moderne Utopien – zugleich gewagt und realistischer als man auf den ersten Blick glaubt. Dieses Buch regt zum Nachdenken und Perspektivwechseln an und lehrt zugleich wie gut es uns in der Gegenwart geht und wie viel besser es uns in der Zukunft gehen könnte.


Wer Bregmans Optimismus mag, sollte sich auch Im Grunde gut ansehen. Darin beschäftigt sich Bregman mit dem Guten im Menschen und ordnet jede Menge negativer Erzählungen wie beispielsweise die in der Psychologie berühmt gewordenen Standfort-Experimente (Gefangenen-Wärter-Experimente) historisch ein.

Wer sich stattdessen einmal damit beschäftigen möchte, was die Konzentration auf negative Meldungen auf Dauer mit unserem Gehirn macht, sollte zu Schluss mit dem täglichen Weltuntergang von Maren Urner greifen. Die Neurowissenschaftlicher plädiert dort für konstruktiven Journalismus und beschreibt was die moderne Informationsverarbeitung mit unserem Gehirn macht.


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Utopien für Realisten. Die Zeit ist reif für die 15-Stunden-Woche, offene Grenzen und das bedingungslose Grundeinkommen von Rutger Bregman
Aus dem Englischen von Stephan Gebauer
304 Seiten
Erschienen im April 2019
Taschenbuch
rororo

Ein Kommentar

  • Tina

    Hi Jenny,

    eine 15-Stunden-Arbeitswoche – die Vorstellung allein ist unvostellbar und vermutlich ist das der Knackpunkt.
    Ich glaube dir, dass das Buch dich zum Nachdenken gebracht hat. War es eines der Bücher im Sachbuchclub? ja, das hattest du erwähnt, glaub ich.
    Wenn wir alle über unseren Schatten springen würden oder uns ein Schubs gegeben wird, dann gäbe es die Veränderungen, die gebraucht werden.

    Liebe Grüße
    Tina

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