"Klara und die Sonne" von Kazuo Ishiguro
Rezension

Von Menschlichkeit und künstlicher Intelligenz: „Klara und die Sonne“ von Kazuo Ishiguro

Auf meiner 12 für 24-Leseliste stand Klara und die Sonne von Kazuo Ishiguro ziemlich weit oben. Ehrlich gesagt war die wiederholte Empfehlung meines Freundes das Buch zu lesen einer der Gründe, dass ich meine Leseliste schließlich angelegt habe. Da war es natürlich nur folgerichtig, dass ich auch mit diesem Buch startete. Und ich wurde wirklich nicht enttäuscht, sondern habe die Geschichte sehr genossen! (Und ja, ich weiß, dass 2024 bereits zur Hälfte rum ist. Aber das ist ein ganz anderes Thema…)

Klara und die Sonne 

In einer dystopischen Welt haben die Kinder „gebildeten“ Familien künstliche Freunde, sogenannte KFs. Klara ist so eine KF. Jeden Tag sitzt sie in dem Laden, in dem sie und andere künstliche Freunde verkauft werden, und wartet darauf, dass ein Kind kommt und sie als Freundin auswählt. Und eines Tages ist es so weit: Josi sucht sich Klara aus, weil sie mit ihr sofort eine Verbindung spürt, obwohl es bereits einige „neuere“ KF-Modelle gäbe. Obwohl Josis Mutter darüber nicht erfreut scheint, kann Josi sich schließlich durchsetzen und für Klara beginnt ein neues Leben.

In Josis Zuhause begleitet Klara Josi fortan durch ihren Alltag: Beim Essen, beim Homeschooling, in der Freizeit und während Josis Krankheiten. Stück für Stück lernt Klara dabei, was von ihr als KF erwartet wird: Von Josi selbst, von der Mutter und der Haushälterin. Und während es Josi zunehmend schlechter geht, lernt Klara die Menschen um sich herum immer besser zu verstehen.

Von Menschlichkeit und der Wahrnehmung der Welt

Mit einer sehr leichten Erzählweise und beinahe schon im Jugendbuchstil erzählt Ishiguro hier von einer nicht-menschlichen Sicht auf das Leben. Während der Tonfall und die Schilderungen durchgängig kindlich-naiv bleiben, trägt auch die spezielle Sichtweise Klaras die Geschichte: Immer wieder treffen die menschliche Erfahrungswelt des Lesers mit der nicht-menschlichen Wahrnehmung von Klara aufeinander. Etwa, wenn Klara den Laden verlässt und die Autofahrt zum Haus (oder spätere Ausflüge) aufgrund der Geschwindigkeit der „wechselnden Bilder“ vor ihren „Augen“ kaum verarbeiten kann. Oder wenn Klara die kranke Josi statt in ihr Bett lieber auf die Couch legen möchte, damit die „kraftspendende Sonne“ Josi neue Energie zuführen kann (denn Klara wird natürlich mit Solarenergie aufgeladen).

Auf sehr subtile und dennoch stetige Weise erinnert Ishiguro immer wieder an die Unmenschlichkeit Klaras. Zugleich ist Klara jedoch auch anders als andere KFs. Sie ist sehr einfühlsam und versetzt sich immer wieder in ihre menschlichen Gegenüber. Dass die Schlüsse, die sie aus Gesagtem oder den Reaktionen zieht, mitunter grundfalsch sind, liegt jedoch nicht alleine an Klara, sondern auch daran, dass die Menschen sich kaum Mühe geben Klara irgendetwas zu erklären, sondern einfach voraussetzen, dass Klara die Welt genauso wahrnimmt wie sie oder aufgrund ihrer Programmierung die nötigen Hintergrundinformationen hätte.

Dieses Verhandeln der eigenen Wahrnehmung findet durch das ganze Buch hinweg statt und erinnerte mich, zusätzlich zum kindlich-naiven Erzählstil, an Bücher wie Der Junge im gestreiften Pyjama von John Boyne. Schlussendlich spielt Klara und die Sonne damit, dass das Wesentliche ungesagt bleibt und Unbegreifliches nie direkt thematisiert wird (wenn auch natürlich nicht so extrem wie Der Junge im gestreiften Pyjama).

Von der Beziehung zwischen Mensch und Maschine

Natürlich werden auch die Themen Freundschaft und Mensch-Roboter-Beziehung immer wieder thematisiert. In dieser merkwürdigen Familienkonstellation ist Klara zugleich Freundin und Dienstleisterin für Josi, wobei natürlich auch alle anderen Menschen Ansprüche an Klara stellen. Dabei stellt sich für Klara immer wieder die Frage: Wie soll sie Josi glücklich machen? Vor allem, wenn Josi selbst nicht einmal weiß, was sie glücklich macht? Und hat sie im Zweifelsfalle Josis Anweisungen zu folgen oder doch der Mutter, der Haushälterin oder einer fremden Erwachsenen?

Trotz all ihrer Empathie entziehen sich Klara wesentliche Konzepte der menschlichen Welt: Weder kann sie Hierarchien (ob nun zwischen Erwachsenen und Kindern oder zwischen verschiedenen Gesellschaftsklassen) richtig einordnen, noch erschließen sich ihr Themen wie Leben, Gesundheit, Krankheit, Verlust und Tod gänzlich. Auch ethische Fragen bzw. Tabus erfasst Klara nicht und kann dementsprechend die Aktionen oder Reaktionen der sie umgebenden Menschen nicht korrekt bewerten.

Und auch wenn der Tonfall und die Erzählweise bis zum Ende leicht und locker wirken, werden unausgesprochen die ganz großen Fragen nach Menschlichkeit und der Tiefe von künstlicher Intelligenz verhandelt. Am Ende ist Ishiguro eben nicht von ungefähr Literaturnobelpreisträger.

Fazit: Ein wunderbar leichtes Buch über (Un)Menschlichkeit und Freundschaft, das zugleich mit jeder Menge Tiefgang daherkommt. Durch den kindlichen-naiven und zugleich unmenschlichen Blick der künstlichen Freundin Klara auf die Welt bleiben die wesentlichen Themen unausgesprochen. Dennoch stimmt das Buch nachdenklich und hallt noch lange nach dem Lesen nach. Absolute Leseempfehlung!


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Klara und die Sonne von Kazuo Ishiguro
Aus dem Englischen von Barbara Schaden
352 Seiten
Erschienen im März 2021
Blessing (Penguin)

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