Dystopischer Abschluss für Maja Lundes Klima-Quartett - Eine Serienbesprechung
Rezension

Dystopischer Abschluss für Maja Lundes Klima-Quartett – Eine Serienbesprechung

Mit Die Geschichte der Bienen hat Maja Lunde sich in viele Herzen und direkt auf alle Bestseller-Listen geschrieben. Mit den Nachfolgern der Klima-Quartett-Reihe hat sie ihre dystopische Welt immer weiter gesponnen und mit Der Traum von einem Baum abgeschlossen. Nachdem ich alle Bände als Hörbuch gehört habe, möchte ich euch die Reihe heute einmal als Gesamtes vorstellen und bewerten.


Hinweis: Die Bände bauen inhaltlich aufeinander auf, haben aber jeweils unterschiedliche Themen und Protagonisten. Ich werde hier also nichts spoilern, falls ihr einzelne Bände noch nicht gelesen habt!


Dystopischer Abschluss für Maja Lundes Klima-Quartett - Eine Serienbesprechung

Die Geschichte der Bienen

Im ersten Band der Klima-Quartett-Reihe beschäftigt sich Lunde mit dem Verschwinden der Bienen (und löste damit eine regelrechte Welle an Bienen-Büchern aus). Dabei verwebt sie auf drei Zeitebenen verschiedene Handlungsstränge und lässt ihre Leser*innen so eindrucksvoll erfahren welche Auswirkungen einzelne Entwicklungen nehmen können.

Wir folgen also im Jahre 1852 dem Samenhändler William, der einen neuartigen Bienenstock entwickelt und dabei die Imkerei revolutioniert, im Jahre 2007 dem Imker George und seinem Sohn Tom, die um die Generationen-Übergabe des Hofes ringen und um die Frage, ob Landwirtschaft und Imkerei weiterbestehen bleiben, und im Jahre 2098 der Arbeiterin Tao, die in China Bäume von Hand bestäubt um die Nahrungsmittelproduktion auch nach dem Verschwinden der Bienen zu gewährleisten.

Die Geschichte ist nicht nur aufgrund der verschiedenen Zeitebenen sehr tiefsinnig und verschachtelt: Die eigentlichen Fragen nach Auswirkungen und Verantwortlichkeiten ebenso wie nach möglichen Lösungen werden an keiner Stelle gestellt, schwingen einem beim Lesen aber unaufhörlich im Hinterkopf herum.

Die Geschichte des Wassers

Im zweiten Band dringt Lunde noch tiefer in ihre dystopische Welt ein. Mit dem Verschwinden von Bienen (und anderen Insekten) beginnt eine fortschreitende Veränderung der Landschaft, natürlich befeuert durch den Klimawandel und dadurch veränderte klimatische Bedingungen.

Während im Jahre 2017 in Norwegen die Umweltaktivistin Signe im Kampf gegen den Abbau des norwegischen Eis scheitert, zwingt die Dürre im Jahre 2041 in Frankreich große Menschenmassen zur Flucht in den (noch) lebenswerten Norden. Darunter der junge Vater David und seine Tochter Lou, die sich von einem Flüchtlingslager zum nächsten durchschlagen, immer auch der Suche nach Orten in denen es noch genug Trinkwasser gibt.

Viel mehr noch als in Der Geschichte der Bienen wird hier auch die globale Dimension der aufkommenden Krise deutlich. Während jeder Einzelne stets mit den eigenen Problemen im Jetzt beschäftigt ist, nimmt die für den Leser absehbare Entwicklung eine unglaubliche Geschwindigkeit auf. Wie auch im ersten Band werden beim Leser weiterführende Problematiken wie Flüchtlingsströme und die Frage nach übernationaler Zusammenarbeit aufgeworfen, im Buch selbst aber immer nur am Rande behandelt.

Dystopischer Abschluss für Maja Lundes Klima-Quartett - Eine Serienbesprechung

Die Letzten ihrer Art

Im dritten Band schließlich kehrt Lunde noch einmal zum Artensterben zurück und beschreibt exemplarisch das Sterben der Przewalski-Pferde. Aber es geht wie immer um mehr: Welche Auswirkungen hat das Sterben einer Art und interessiert es uns, auch, wenn es sich nicht um direkte Nutztiere wie die Bienen handelt? Wo beginnt die Verantwortung der Menschen für die Natur – und wo endet sie?

Der Zoologe Michail beginnt 1883 eine Expedition um Urpferde in der Mongolei zu fangen und in seinen Zoo in Petersburg überzusiedeln. Ebenjene Wildpferde versucht die Tierärztin Karin mit ihrem Sohn 1992 in der Mongolei auszuwildern, wo sie zwischenzeitlich ausgestorben sind. Im abgelegenen Norwegen führen Eva und ihre Tochter Isa im Jahre 2064 ein karges Leben. Obwohl es kaum genug Nahrung und Wasser für Menschen gibt und die Flüchtlingswellen in den Norden anhalten, versuchen die beiden sich und die Wildtiere ihres ehemaligen Wildparks, darunter auch die Wildpferde, am Leben zu erhalten.

Wie in den vorhergehenden Bänden verweben sich globale und private Probleme miteinander und lassen die Figuren nahezu handlungsunfähig bleiben. Gleichzeitig ringen sie nicht nur um ihr eigenes Überleben, sondern auch um ihre Menschlichkeit. Noch stärker als zuvor wird die Frage gestellt: Sind wir aufgrund unserer Menschlichkeit zur Hilfe verpflichtet – und erstreckt sich diese Hilfe auch auf andere Arten als nur andere Menschen?

Der Traum von einem Baum

Erstmals konzentriert Lunde sich in ihrem Abschlussband ganz auf die Zukunft: Haben vorausschauende Menschen es geschafft mit einer fast vergessenen Samengutkammer den Grundstock für den Wiederaufbau einer zerstörten Welt zu legen? Oder zerstört sich die Menschheit am Ende aufgrund von Eigennutz und fehlender Zusammenarbeit selbst? Sind wir vielleicht selbst eine sterbende Art in einer sich verändernden Welt?

Tief in der kargen Landschaft Spitzbergens liegt 2110 ein kleiner Ort mit einer Gruppe von Menschen, die einer sich verändernden Welt trotzen: Eine Gemeinschaft, die es geschafft hat sich zurück zu einem Leben im Einklang mit der Natur zu besinnen und die zugleich über den größten Schatz der Menschheit verfügen: Eine Samengutkammer, gefüllt mit Samen aus vielen Ländern der Welt. Doch auch ein abgeschiedenes Leben schützt die Gemeinschaft nicht vor Krankheit und Tod. Und so muss am Ende der junge Tommy, der den Schutz der Samengutkammer von seiner Großmutter erbt, die folgenschwere Entscheidung treffen: Bedeutet der Schutz der Kammer am Ende auch, dass er die Samen vor allen verbergen muss, die auf der Suche nach neuer Hoffnung nach Spitzbergen kommen?

Während in den vorherigen Bänden stets mit dem Wechsel der verschiedenen Zeitebenen gespielt wurde, bewegt sich Lunde hier in einer einzelnen Zeit. Dennoch wird auch hier die Komplexität der globalen Veränderung deutlich: Wer hat ein Anrecht auf die letzten Samen der Welt – und was passiert, wenn diese Samen verschwenderisch verbraucht werden, bis es am Ende keine Samen, und damit keine neue Hoffnung, mehr gibt?

Dystopischer Abschluss für Maja Lundes Klima-Quartett - Eine Serienbesprechung

Was Maja Lundes Reihe so wertvoll macht

Ich denke, dass der Erfolg von Maja Lundes Reihe verschiedene Faktoren hat: Zum einen war es sicherlich ein genialer Schachzug ihre Reihe mit dem Bienensterben zu beginnen, welches medial in den letzten Jahren einige Aufmerksamkeit erlangt hatten. Am Ende ist ihre Reihe aber so ergreifend, weil sie komplexe Probleme aufzeigt und zugleich an keiner Stelle den moralischen Zeigefinger erhebt – das tut der Leser von ganz alleine.

Alle ihre Figuren kämpfen neben dem Wandel ihrer Welt vor allem mit persönlichen Problemen, welche von den eigentlich relevanten Themen ablenken. Außerdem sind alle Figuren ganz normale Menschen, es handelt sich weder um Politiker noch Super-Reiche, nicht um Journalisten oder Wissenschaftler. Keine einzige Figur hat die Möglichkeit oder das Wissen um Entwicklungen vorherzusehen oder sogar durch weitreichende Entscheidungen abzuwenden.

Zugleich ist aber auch jede Figur für ihr eigenes Handeln verantwortlich und jeder einzelne scheint mit seinen Handlungen und Entscheidungen einen wenn auch minimalen Einfluss auf die eigene Geschichte zu haben, welche wiederum die Handlungsstränge der nachfolgenden Zeitebenen beeinflusst. So schwingt immer wieder die Frage nach der Verantwortung des eigenen Handeln mit.

Lundes dystopische Welt ist komplex und zeichnet über alle Bände hinweg nach welch weitreichende Veränderungen der Klimawandel mit sich bringt: Verschiedene Probleme bedingen sich gegenseitig und verschlimmern bestehende Probleme bzw. beschleunigen destruktive Entwicklungen. Während das Bienensterben im ersten Moment nur zu Nahrungsmangel führt, verändert fehlendes Wasser die Landschaft elementar. Dass die veränderte Landschaft aber durch Insektensterben und damit fehlende Befruchtung von Pflanzen, die Wasser binden und so die Landschaft stabilisieren, befeuert wird, wird thematisch gar nicht allzu deutlich angeschnitten.

Auch die Bevölkerungswanderungen als Reaktion auf fehlende Ressourcen, die Fragen nach Staatszugehörigkeit und moralischer Verpflichtung zum Helfen werden nicht direkt angeschnitten. Natürlich werden die Probleme an verschiedenen Stellen thematisiert und deren direkte Auswirkungen auf die einzelnen Figuren immer wieder aufgezeigt. Aber die dahinterliegende Dynamik wird bewusst immer wieder ausgespart.

Gerade diese Leerstellen sind es meiner Meinung nach, die die Geschichte so unglaublich stark machen: Lunde beschreibt auf beinahe poetische Weise eine dystopische Entwicklung ohne sich dabei auf die zugrundeliegenden Probleme und mögliche Lösungen zu konzentrieren. Durch den absoluten Fokus auf persönliche Schicksale wird die Wucht umso gewaltiger. Denn der Leser hat ja die ganze Zeit im Hinterkopf, dass der Klimawandel und das Artensterben keineswegs ein fiktives Problem ist.

Am Ende des letzten Bands entlädt sich dann die angestaute Wut (nicht nur der Figuren) über ein jahrzehntelang fehlgeleitetes Problembewusstsein und die absolute Untätigkeit im Angesichts des lang Vorhersehbaren in einem Nachwort, dass sich direkt an uns Menschen heutiger Zeit richtet. Dieses Nachwort richtet sich bewusst an den Einzelnen und nicht an das Kollektiv: Jeder einzelne ist aufgerufen zur Veränderung beizutragen, denn niemand kann sich darauf verlassen, dass andere oder später kommende die Probleme schon lösen werden, die man selbst zugunsten der eigenen Bequemlichkeit ignoriert.

Fazit: Jeder einzelne Band der Klima-Quartett-Reihe ist äußerst lesens- und hörenswert. Als Gesamtes aber ist die Reihe eine tiefgründige und beinahe poetisch anmutende Erzählung, die zugleich die Komplexität von Problemen und den fehlenden Lösungswillen thematisiert. Mit ihrer Reihe hält Lunde der Welt den Spiegel vor und stellt zugleich die Frage: Wer trägt Verantwortung für Veränderung?


Wenn ihr nun neugierig auf die Reihe geworden seid, könnt ihr euch hier nochmal meine ausführliche Vorstellung von Die Geschichte der Bienen und Die Geschichte des Wassers ansehen


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Die Geschichte der Bienen. Klimaquartett (Band 1) von Maja Lunde
Aus dem Norwegischen von Ursel Allenstein
Ungekürzte Lesung mit Bibiana Beglau, Markus Fennert, Thomas M. Meinhardt
Laufzeit: 12h 52
Erschienen im März 2017
Der Hörverlag (Penguin)

Die Geschichte des Wassers. Klimaquartett (Band 2) von Maja Lunde
Aus dem Norwegischen von Ursel Allenstein
Ungekürzte Lesung mit Christiane Pearce-Blumhoff, Shenja Lacher
Laufzeit: 10h 5
Erschienen im März 2018
Der Hörverlag (Penguin)

Die Letzten ihrer Art. Klimaquartett (Band 3) von Maja Lunde
Aus dem Norwegischen von Ursel Allenstein
Ungekürzte Lesung mit Thomas Loibl, Meike Droste, Beate Himmelstoß
Laufzeit: 16h 26min
Erschienen im Oktober 2019
Der Hörverlag (Penguin)

Der Traum von einem Baum. Klimaquartett (Band 4) von Maja Lunde
Aus dem Norwegischen von Ursel Allenstein
Ungekürzte Lesung mit Bibiana Beglau, Benito Bause
Laufzeit: 13h 2min
Erschienen im Mai 2023
Der Hörverlag (Penguin)

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