[Rezension] Über Hilfsbereitschaft und Masken: "Hinterhofleben" von Maik Siegel
Rezension

[Rezension] Über Hilfsbereitschaft und Masken: „Hinterhofleben“ von Maik Siegel

Bereits im letzten Jahr erschienen, aber seit einiger Zeit auch auf diversen Blogs zu finden ist das Buch Hinterhofleben von Maik Siegel. Ich entdeckte es zuerst auf Bücherkaffee, wo Markus es rezensiert hatte. Eine ganze Weile zögerte ich dann noch (es lagen einfach noch zu viele gute Bücher ungelesen bei mir), dann konnte ich nicht mehr widerstehen. Gelesen habe ich es dann gemeinsam mit Mademoiselle Facettenreich auf Twitter. Die hat ihre Rezension nun schon vor einer Ewigkeit veröffentlicht, denn die Lektüre machte mich sprachlos, wie es mir selten bei Büchern ergeht (zuletzt war dies der Fall bei Greenwash Inc. von Flender)

Hinterhofleben von Maik Siegel

Prenzlauer Berg. Ein ganz normales Wohnhaus. Man pflegt freundlichen Umgang, doch eigentlich möchte jeder nur das ruhige und bequem eingerichtete Leben leben. Bis sich eines Tages, auf Drängen von Inga, alles ändert: Die Wohngemeinschaft beschließt, einen syrischen Flüchtling aufzunehmen. Illegalerweise. Und schlagartig fallen Masken und entblößen sich Vorurteile und Selbstgerechtigkeit. Denn der Umgang mit dem Flüchtling Samih entwickelt sich anders als es ein jeder erwartet hatte. Samih integriert sich zu gut und gleichzeitig nicht gut genug: Wie kann denn einer ein normales Leben leben, der von Krieg traumatisiert sein müsste? Und natürlich verfolgt jeder im Haus seine ganz eigenen Absichten…

Hinter der Idylle

Im Hinterhof der Wohngemeinschaft spielt sich ein großer Teil ihres Zusammenlebens ab, hier kommt man zusammen und lebt Gemeinschaft. Hier wird auch die Entscheidung getroffen, einen Flüchtling aufzunehmen, auf halbdemokratische Weise. Denn noch bevor überhaupt ein Flüchtling in Erscheinung tritt, wird die bloße gesellschaftliche Debatte über Verantwortung und Hilfsbereitschaft zum indirekten Zwang helfen zu müssen. Und bereits hier zeichnet sich ab, was sich später durch den gesamten Roman ziehen wird: Jeder will helfen, aber am liebsten wollen alle, dass die anderen den Anteil an Hilfe für die Hausgemeinschaft übernehmen!

Die 15 Bewohner des Wohnhauses spiegeln die Gesellschaft auf vielfache Weise: Von Studenten über Berufstätige, von Hausfrauen bis Rentnern. Jung und alt sind vertreten, ebenso wie die Kinder, die obgleich so unschuldig dennoch verstrickt werden in das Hin und Her der Erwachsenen. Und jeder Hausbewohner hat positive wie negative Seiten, sie alle treten im Laufe des Romans zutage. Ein guter Querschnitt durch die Gesellschaft, der Maik Siegel hier gelungen ist. Besonders beeindruckte mich das Nebeneinander an Perspektiven, wunderbar zeichnet sich hier ab wie weit Selbst- und Fremdwahrnehmung auseinander liegen können. Denn niemand ist sich eines falschen Benehmens bewusst, sie alle wähnen sich frei von jeglichem Fehlverhalten und sehen ihr eigenes Handeln als das ihnen einzig mögliche.

Der Flüchtling Samih wird dabei zur leeren Leinwand, auf der alle ihre Ängste, aber auch ihre Hoffnungen die Flüchtlinge betreffend, projizieren. Er ist der Mittelpunkt des Romans und bekommt doch gleichzeitig am wenigsten Stimme eingeräumt, denn seine Sichtweise wird durch die anderen nicht einmal wahrgenommen. So ist denn auch die Frage nach Anpassung und Akzeptanz eine, die für ihn und über ihn getroffen wird.

Fazit: Eine absolute Leseempfehlung! Schonungslos und selbstkritisch kann man sich hier Vorurteile, Sein und Schein exemplarisch ansehen und sich dabei ein ganz neues Bild von Akzeptanz und Toleranz machen. 

Ebenfalls empfehlenswert:

Ein plötzlicher Todesfall von J. K. Rowling (leider nicht rezensiert)

Greenwash Inc. von Karl Wolfgang Flender


Weitere Meinungen:

„Maik Siegels Debüt ist absolut gelungen: tiefgründig, bewegend und überraschend. Eins meiner Lese-Highlights in 2018!“ bei Mademoiselle Facettenreich

„Maik Siegel zeichnet mit seinem Großstadtroman einen Querschnitt der Meinungen, Vorurteile und des gefährlichen Halbwissens, das sich in Deutschland zum Thema „Flüchtlingskrise“ tummelt.“ bei Kill Monotony

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Das Buch

Hinterhofleben von Maik Siegel
Divan Verlag (#Indie)

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