[BücherinBüchern] Eine Ode an das Nicht-Lesen: "Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat"
Rezension

[BücherinBüchern] Eine Ode an das Nicht-Lesen: „Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat“

Wenn im Titel irgendwo das Wort Buch vorkommt. Wenn die Geschichte sich in einer Bibliothek abspielt. Wenn es sich um eine Geschichte über Bücher, Buchhandlungen, Literatur oder das Lesen handelt. Dann werde ich meist sehr, sehr neugierig…

In dieser kleinen Serie möchte ich ein paar dieser besonderen Schätze vorstellen. Außerdem würde ich mich freuen, wenn ihr noch weitere Bücher kennt, die ihr mir empfehlen könnt!


Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat

Der französische Literaturprofessor Pierre Bayard veröffentlicht literarische Essays. In diesem Band denkt er über das Nichtlesen nach – allerdings auf eine etwas andere Art als erwartbar 😉

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Das Besondere am Nichtlesen von Musils Bibliothekar* besteht im Grunde darin, dass seine Haltung nicht passiv, sondern aktiv ist. Zahlreiche gebildete Menschen sind Nichtleser, und umgekehrt sind zahlreiche Nichtleser gebildete Menschen, da das Nichtlesen nicht einfach die Abwesenheit des Lesens bedeutet. Es stellt eine aktive Tätigkeit dar, die darin besteht, sich in Bezug auf die Unermesslichkeit der Bücher zu organisieren, um sich nicht von ihnen überwältigen zu lasen. In diesem Sinne verdient das Nichtlesen verteidigt und gar unterrichtet zu werden.

Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat, S. 31 und 32

[*Musil beschreibt in seinem Mann ohne Eigenschaften einen Bibliothekar, der keines seiner Bücher liest, da er alle gleichermaßen liebt und keinem mehr Aufmerksamkeit als den anderen zukommen lassen möchte]

Bayards Kernaussage ist: Ich muss ein Buch nicht gelesen haben, um es bewerten zu können. Ich kann eine Meinung zu Harry Potter haben, ohne je einen Satz davon gelesen zu haben. Wie das gehen soll? Ich bewerte ein Buch über den Kontext, nicht den Inhalt.

Bayard unterteilt dazu mehrere Arten des Nichtlesens:

  • Bücher, die man nicht kennt,
  • Bücher, die man quergelesen hat,
  • Bücher, die man vom Hörensagen kennt, und
  • Bücher, die man vergessen hat.

Ich denke, wir alle kennen die unterschiedlichen Kategorien. Ich habe beispielsweise Fifty Shades of Grey nicht gelesen. Nach allem, was mir darüber erzählt wurde, kann ich aber sagen, dass es wohl kein Buch für mich ist. Ich habe Bücher quergelesen, nur um festzustellen, dass sie mir nicht gefallen. Ich habe Bücher nur dem Titel nach gehört, das Bildnis des Dorian Gray beispielsweise, und weiß dennoch grob, worum es geht. Und ich habe viele Bücher gelesen, an die ich mich nach einiger Zeit nicht mehr erinnert habe. Ohne diese Bücher herabwürdigen zu wollen – aber muss ich sie noch einmal im Leben lesen, nur weil ich mich an die Handlung nicht erinnere?

Interessant finde ich an diesem Buch, die Art wie das Lesen hier dargestellt wird. Bayard schreibt sehr humorvoll, schildert Situationen, in denen man sich plötzlich über diese nichtgelesenen Bücher unterhalten muss oder gibt lustige Handlunganweisungen, wie man damit umgehen kann, ein Buch nicht zu kennen. Sich einfach mal ein Buch ausdenken und die Meinung des Gesprächspartners erfragen, beispielsweise. Es geht ihm nicht darum zu sagen: Lest keine Bücher mehr! Im Gegenteil, das Buch selbst enthält so viele literarische Bezüge, dass man direkt Lust bekommt, weiterzulesen. Es geht darum, dass kein Mensch der Welt ALLE Bücher lesen kann. Allzu oft haben wir aber – gerade wir bibliophilen Menschen – ein schlechtes Gewissen, weil wir ein Buch nicht kennen. Warum eigentlich?

Bücher erfinden; in dem man in einem Buch Sosekis den Rat einer Katze und eines Ästhetikers mit Goldbrille bekommt, die beide in unterschiedlichen Bereichen, die Notwendigkeit des Erfindens vertreten.

Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat, S. 182

Wenn wir das Genre kennen, die Handlung grob umreißen können, wenn wir das Buch von einer Freundin mit ähnlichem Geschmack empfohlen bekommen habt, – oder sie sogar davon abgeraten hat, – dann wissen wir schon ziemlich viel über das Buch, ohne es auch nur aufgeschlagen zu haben.

Macht euch doch mal den Spaß, geht in die nächste Buchhandlung und guckt euch die Cover an. Schaut vor welchem Regal ihr steht oder welche Titel  um das Buch herumliegen auf dem Tisch – dann wisst ihr meist schon fast, worum es in dem Buch gehen wird 😉 Und aus diesem Grund ist es völlig gerechtfertigt, über Bücher zu reden, die ihr (noch) nicht gelesen habt!


Wie kam das Buch in meine Hände?

Diese Buch wurde mir von Prof. Lokatis aus der Leipziger Buchwissenschaft (ein kleiner Teil der Kommunikations- und Medienwissenschaft an der Uni Leipzig) empfohlen. Er erzählte in einem Seminar einmal, dass er eine Rezension über diese Buch schreiben sollte. Leider weiß ich nicht mehr, wo diese erschienen ist, sonst hätte ich sie euch natürlich verlinkt.

Weitere Rezensionen:

Poetenladen

Berliner Literaturkritik


Das Buch

Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat von Pierre Bayard

Goldmann (es gibt auch eine Hardcover-Ausgabe von Kunstmann)

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