Zwischen Trauer und skurrilem Witz: "Marianengraben" von Jasmin Schreiber
Rezension

Zwischen Trauer und skurrilem Witz: „Marianengraben“ von Jasmin Schreiber

Obwohl Marianengraben vieles richtig macht, konnte es mich nicht so stark berühren wie ich es gehofft hatte. Dennoch handelt es sich um ein schönes Buch, das sich trotz ernstem Thema locker lesen ließ:

Tiefe Trauer und ein leichter Plot

Ihr kleiner Bruder Tim ist tot – und Paula ist gefangen in ihrer Trauer. Seit 2 Jahren vergräbt sie sich bereits. Auf Drängen ihres Psychologen besucht sie eines Nachts das Grab ihres Bruders, denn tagsüber sind dort für ihren Geschmack zu viele andere Menschen. Und stolpert unverhofft über Helmut, einen sturen, älteren Mann, der gerade dabei ist die Urne seiner verstorbenen Frau auszugraben. Mit ihm begibt sie sich auf eine Reise, um die Asche von Helga auf eine letzte Reise zu begleiten – und lernt dabei viel über ihre eigene und die Trauer allgemein…

Von der plötzlichen Reise und skurrilen Figuren

Vielleicht war die Erwartung an Marianengraben ein wenig zu hoch: Vom Grundaufbau und dem Plot hatte ich mir doch einiges mehr erhofft. Denn auch wenn die Verknüpfung zwischen Tiefe des Marianengrabens und Tiefe der Trauer nett gewählt ist, so ist doch die eigentliche Handlung recht vorhersehbar. Der ungewöhnliche Auslöser für die Reise war noch erfrischend, danach nimmt die Handlung ihren erwartbaren Verlauf. Die Figuren sind skurril und wirken mitunter eher wie Karikaturen als wie tatsächliche (erzählte) Menschen, ihre Handlungen ebenso. Darum erstaunt die eine oder andere äußerst merkwürdig anmutende Entscheidung oder Handlungsweise nicht im Mindesten. Von einer Station zur anderen plätschert die Story und lässt sich dabei mit ihrer Mischung aus Komik und Trauer sehr locker lesen. Dennoch hätte ich mir gewünscht, dass die vorgezeichnete Reise ein wenig abwechslungsreicher gestaltet geworden wäre. Schlussendlich ist die Reise aber auch nur Metapher für die Rückkehr zum Individuum und zum eigenen Leben, weshalb die inneren Monologe so viel relevanter als die Handlung sind.

Zwischen nachvollziehbarer Trauer und einer Portion zu viel Pathos

Und hier versteckt sich der eigentliche Wert des Romans: Irgendwo zwischen tragik-komischer Auseinandersetzung mit der eigenen Erinnerung, der gefühlten Schuld und jeder Menge pathetischer Sinnsprüche über das Leben wird die Trauerarbeit nachvollzogen. Und gerade durch das Skizzenhafte der Figuren legt sich diese Trauer nicht wie ein schwerer Mantel um den Leser, sondern bleibt so locker wie der Erzählstil – und damit aushaltbar. So kann sich der Roman ganz auf die Entwicklung Paulas konzentrieren, während der eigentlich so harte Kern der Trauer ihren Stachel gezogen bekommt. Darum lässt sich das Buch auch ganz ohne emotionalen Nachhall lesen, quasi als Studie der inneren Abstumpfung gegenüber dem Schmerz. Tims kindlich-altkluge Gedanken passen sich darum auch wunderbar in die allgemeine Erzählweise des Romans ein. Und die eigentliche Reise wird zur bloßen Staffage für die gedankliche Reise in die Welt der Erinnerung.

Fazit: Ein ambivalenter Roman, der Trauer zum Thema hat und doch keine Traurigkeit weckt, über die Sinnsuche und das Loslassen und vor allem über den Abschied ohne Wiedersehen. Eine erwartbare Story und skurrile Figuren lassen Raum für die innerliche Entwicklung und Rahmen die Geschichte mit einer gewissen Leichtigkeit ein.

Wer gerne von skurrilen Figuren und einer Portion Traurigkeit liest, dem empfehle ich Was man von hier aus sehen kann von Mariana Leky (hier geht’s zu meiner Rezension).


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Marianengraben von Jasmin Schreiber
erschienen im Februar 2020
254 Seiten
Eichborn

Dieses Buch habe ich privat geschenkt bekommen.
Herzlichen Dank!

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