#4 Montagsfrage "Reiselektüre" & Buch to go der Woche
Rezension

Kirio von Anne Weber

Kirio war ja neben vielen anderen guten Büchern für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert (Kategorie Belletristik). Gewonnen hat dann leider ein anderes Buch, was ich schon damals sehr schade fand. Ich hab die Leseprobe gelesen und war auch bei den Vorstellungen der Nominierten am Donnerstagmorgen auf der Messe dabei. Kirio hat mich neugierig gemacht, weil der Erzähler, ein lustiger Schelm, mit dem Leser seinen Schabernack treibt. Das fand ich mal was anders als die Bücher, die ich sonst lese, und daher wollte ich unbedingt reinschauen. Jetzt lag Kirio leider doch eine ganze Weile unbeachtet auf meinem Nachttisch, weil ich vor lauter Unistress gar nicht so richtig zum Lesen kam. Eine Tatsache, die ich sowohl sehr bedauere (nicht nur wegen des lieben Kirios), und gleichzeitig dringend ändern wollte!


Kirio oder: Der Schelm, der durchs Buch spazierte

Im Übrigen frage ich mich manchmal, ob es nicht völlig unwichtig ist, ob ich nun existiere oder nicht. Sie haben inzwischen eine Vorstellung von mir, and so do I. Solange ich mich aber denke und Sie mich denken, sei es nun als etwas, das existiert, oder als etwas, das nicht existiert, so lange gibt es mich doch wohl in hinreichendem Maße.

Wir blicken als Leser in den Roman und sehen die Lebensstationen Kirios nachgezeichnet. Kirio wird geboren und bleibt doch, obgleich er älter wird, immer ein wenig Kind. Ein lustiger Schelm, naiv ließe sich sagen, der den Ernst des Lebens nicht versteht. Dennoch zeichnet sich Kirio gerade durch sein gutes Herz aus. Und während Kirio von einem Kapitel zum anderen hüpft – und man als Leser kaum die Muße verspürt sich zu fragen, wer denn eigentlich erzählt – treffen wir neben ihm doch eine Vielzahl an weiteren Menschen. Sie alle haben Einfluss auf Kirios Leben gehabt – oder sollte man sagen, Kirio habe Einfluss auf ihr Leben gehabt? Fest steht, kein Mensch, der Kirio trifft, bleibt von ihm unberührt. Ob kurze Begegnung oder längeres Intermezzo, ob freundschaftliches Aufeinandertreffen oder Konflikt, Kirio verzaubert alle. Wie der Rattenfänger von Hameln läuft er durch sein Buch – manchmal gar auf Händen – und sammelt die Herzen der Menschen ein.

Der Schelm Kirio ist dabei eine interessante Figur. Kindlich zwar, doch herzensgut. Überall Freude zu verbreiten scheint sein Zweck im Leben. Seine wundersame Entwicklung spannt den Handlungsbogen auf. Doch zugleich geschieht auf einer oberflächlichen Ebene nicht mehr als das Nacheilen dieses nie Einzuholenden. In verschiedenen Episoden wird von Kirio erzählt: Er wird als Wirrkopf dargestellt, als Kaspar und nie passt er ganz in die Kategorien, die man für ihn bereit hält. Auch die Gesellschaft, so sehr sie von seinem positiven Einfluss profitiert, kann Kirio nicht recht einordnen und so eckt er immer wieder an. Schlussendlich bleibt nur die Erkenntnis, das die Gesellschaft Kirio nicht so akzeptieren kann, wie Kirio die Gesellschaft akzeptiert und annimmt.

 

Anne Weber - Kirio
Anne Weber – Kirio

Kirio als Metapher von Glück?

Der Schelm Kirio wandelt durch diesen Roman und handelt, ohne sich um die Folgen seiner Handlungen zu scheren. Diese haben jedoch mitunter großen Einfluss auf andere Personen, die Kirio zum Teil noch nicht einmal kennen lernt. Er vollbringt große wie kleine „Wunder“ und ist sich doch nie bewusst, wie stark er das Leben seiner Mitmenschen beeinflusst. Diese wie auch weitere philosophische Gedankenspiele, den Erzähler oder die Wirklichkeit betreffend, fand ich besonders spannend, habe ich doch einen kleinen Hang zu philosophischer Lektüre. Allerdings steckte in diesem Roman eine solche Leichtigkeit, die sich von Kirio direkt auf mich übertrug. Jostein Gaarder, den ich ja zuletzt in dieser Richtung gelesen habe, hat mich da eher trübsinnig gestimmt und allzu nachdenklich gemacht. Anne Weber dagegen verzauberte mich mit ihrer sprachlichen Lockerheit.

Schreibstil

Anne Weber schreibt sehr locker und dennoch sehr tiefsinnig über diesen sprunghaften Charakter. Ihr Tonfall ist sehr leicht und angenehm zu lesen. Erst auf den zweiten Blick offenbart sich die gesamte Tiefe dieses Romans: Oft habe ich Absätze zweimal gelesen, um noch einmal darüber nachzudenken, wer eigentlich spricht. Der Erzähler selbst spielt geradezu mit dem Leser; die Frage, wer er wohl sei, wird immer wieder so schelmenhaft gestellt, dass ich schon anfing Kirio und Erzähler zu einem zu machen. Ob dem wohl so ist?

Kirio hat mir einige schöne Lesestunden beschert. Mein Fazit ist daher: Ein Buch für jene, die es gerne ein wenig philosophisch mögen und Lust an (sprachlichen) Spielereien haben!

Weitere Meinungen:

Die Tanztendenz des Geistes

Perlentaucher


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Kirio von Anne Weber

S. Fischer

217 Seiten, 20 Euro

978-3-10-397269-6

8 Kommentare

  • Laura

    Liebe Jenni,
    danke für diese Rezension. 🙂
    Nominiert wurde das Buch aus meiner Sicht zu Recht, da es mit seinem außergewöhnlichen Erzählstil wirklich etwas Besonderes ist. Das Mittel des unbekannten Ich-Erzählers, der sich immer wieder selbst thematisiert und hinterfragt bei gleichzeitigem Erzählerwechsel ist interessant. Auch die Personifizierung von Abstrakta, wie beispielsweise der Wirklichkeit oder des Tods, finde ich erzählerisch raffiniert.
    Teilweise erscheint mir die Frage nach dem „Wer?“ allerdings etwas überstrapaziert, worunter meines Empfindens die Handlung leidet. Dennoch schadet das nicht dem hochwertigen Schreibstil des Romans, der quasi eine Summe auf den Punkt formulierter Sätze ist. Vielleicht empfand ich das Buch deshalb fast wie eine (sehr lange) Kurzgeschichte, weil sie sprachlich so kompakt und währenddessen eine einsträngige Handlung in Form eines spannend erzählten Personenportraits ist.
    Deinem Fazit kann ich deshalb nur zustimmen und (mit dir?:)) gespannt sein, was wir zukünftig von Anne Weber lesen werrden.
    Viele Grüße – und herzlichen Dank für diesen Lesetipp sowie die Bereitstellung des Buchs –
    Laura
    <3

    • Jennifer

      Liebe Laura,
      du wirst immer Bücher von mir geliehen bekommen 😉
      Ja, ich die Handlung fehlte mir auch ein bisschen. Dennoch machte der lockere Ton das ganze so angenehm zu lesen. Ich denke, ich war so begeistert, dass mir die fehlende Handlung gar nicht so auffiel. Ich habe mich auch permanent gefragt, ob nicht eigentlich der Erzähler der Protagonist ist – und Kirio nur Mittel zum Zweck.
      Den Vergleich mit der Kurzgeschichte finde ich sehr passend. Vielleicht solltest du mal eine Gastrezension schreiben. Die wäre bestimmt richtig klasse 😉
      Anne Weber hat übrigens schon ein anderes Buch geschrieben (vorher), aber das ist wohl ganz anders. Die Rezension gibts auch auf dem verlinkten Blog von „Die Tanztendenz des Geistes“
      VG Jennifer
      P.S. Welches wird dein nächstes Buch? 🙂

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