"Der Hals der Giraffe" von Judith Schalansky
Rezension

„Der Hals der Giraffe“ von Judith Schalansky

Der Roman

Anpassung ist alles, weiß Inge Lohmark. Schließlich unterrichtet sie seit mehr als dreißig Jahren Biologie. Daß ihre Schule in vier Jahren geschlossen werden soll, ist nicht zu ändern – in der schrumpfenden Kreisstadt im vorpommerschen Hinterland fehlt es an Kindern. Lohmarks Mann, der zu DDR-Zeiten Kühe besamt hat, züchtet nun Strauße, ihre Tochter Claudia ist vor Jahren in die USA gegangen und hat nicht vor, Kinder in die Welt zu setzen. Alle verweigern sich dem Lauf der Natur, den Inge Lohmark tagtäglich im Unterricht beschwört. Als sie Gefühle für eine Schülerin der 9. Klasse entwickelt, die über die übliche Haßliebe für die Jugend hinausgehen, gerät ihr biologistisches Weltbild ins Wanken. Mit immer absonderlicheren Einfällen versucht sie zu retten, was nicht mehr zu retten ist.

Verlagsbeschreibung

Der Roman ist als Bildungsroman ausgewiesen. Beschrieben werden drei Tage (in drei langen Kapiteln) aus dem Leben der Biologie- und Sportlehrerin Inge Lohmark. Diese sieht sich mit dem Ende ihres Berufslebens konfrontiert, folgt aber ihren Tagesabläufen stur. Ihre Schüler sind für sie austauschbar, denn die unterschiedlichen Schülertypen hat sie im Laufe ihres Lebens immer wieder in gleichen oder ähnlichen Situationen erlebt. Der Schulalltag, die Handlung, die sie schildert, kommt und geht, und verschwimmt meist ganz mit ihren inneren Gedanken.


Meine Meinung

Ich hatte den Roman während der Leipziger Buchmesse gekauft und ein paar Wochen später mit in den Urlaub genommen. Da das Büchlein ein Pocket-Buch ist, passt es wunderbar in jede Tasche und ich konnte es gut in einer kleinen Handtasche mitnehmen 😉 Von dem Konzept bin ich schon mal begeistert, ich werde mir definitiv noch ein paar Pocket-Büchlein zulegen 😀

Judith Schalansky - Der Hals der Giraffe
Judith Schalansky – Der Hals der Giraffe

Normalerweise mag ich Romane nicht, deren Handlung sich in sehr wenige, dafür sehr lange Kapitel gliedert. Dies ist hier sehr krass, da das Buch nur aus drei Kapiteln besteht, welche die drei Tage schildern. Die Handlung ist zwar chronologisch, allerdings wird sie immer wieder durch innere Gedanken von Frau Lohmark unterbrochen, es gibt Erinnerungsrückblenden oder auch philosophische Fragen über den Sinn des Lebens. Dies ist besonders spannend, weil sie als Biologielehrerin eine sehr starre Sicht auf vieles hat. Alles ist bei ihr evolutionär bedingt, Abweichungen sieht sie nicht. Die Beschreibungen ihrer Schüler oder auch ihrer Lehrkollegen wirken immer sehr abstrakt, sie beschreibt eher Schülertypen als einzelne Individuen. Auch springt die Handlung manchmal um mehrere Stunden, da vor allem ihr Schulalltag und weniger Frau Lohmark als Person beschrieben wird. Durch diese Brüche in der Erzählung konnte ich trotz der langen Kapitel gut pausieren und den Erzählfluss auch nach einigen Tagen ungehindert wieder aufnehmen (das ist es, was mich sonst an langen Kapiteln stört. Wird man unterbrochen, kommt man nur schwer in die Handlung zurück). Ich mochte auch die Sprache, die etwas irgendwie entrücktes hat.

„Und was passiert am Ende mit denen?“

„Die sterben aus.“ Seine Stimme war sachlich, aber voller Anteilnahme. Wie ein Bestatter.

„Richtig.“ Mehr als neunundneunzig Prozent aller Arten, die jemals auf der Erde existiert hatten, waren ausgestorben. Aber alle dachten nur an diese lächerlich großen Vierzigtonner mit tennisballkleinen Gehirnen, die nicht mal imstande waren, ihre Körpertemperatur zu regulieren.

„Ja, das war ein richtiges Massensterben! Drei Viertel aller Tier- und Pflanzenarten verschwanden. Aber Sie wissen ja: Der Tod des Einen ist die Geburtsstunde des Anderen. Und dass Lebewesen aussterben, ist eines der wichtigsten Merkmale des stammesgeschichtlichen Prozesse.“ Die Geschichte des Lebens war im Grunde eine Geschichte des Sterbens. Und jeder Krieg, jede Katastrophe der Beginn von etwas Neuem.

Der Hals der Giraffe, S. 231

Ich fand es spannend, welche Verwicklungen ihre Gedanken immer wieder nehmen. Besonders, weil dadurch ein solcher Bruch zu der Handlung (sie steht ja meist vor ihrer Schulklasse) entsteht. Was mich eher irritiert hat, war die angedeutete homosexuelle Neigung, die sie zu einer ihrer Schülerinnen entwickelt. Diese wird weder ausgebaut, noch reflektiert Frau Lohmark sie in irgendeiner Form (alles andere wird von ihr immer biologistisch untersucht, hier nicht so). Frau Lohmark entwickelt Gedanken, die sie jedoch nicht in Handlung umwandelt, da sie Konsequenzen bei einer Aufdeckung ihrer Gefühle fürchtet. Ihre Gefühle sind jedoch so subtil, dass sie im Buch selbst eine sehr untergeordnete Rolle spielen. Vielleicht habe ich aufgrund der Verlagsbeschreibung hier einfach mehr Fokus erwartet. Jedenfalls habe ich immer auf einen Ausbau des Konfliktes gewartet, bzw. auf eine Reflexion durch Frau Lohmark.

Insgesamt lässt mich das Buch ein wenig ratlos zurück. Die Sprache hat mir, wie gesagt, sehr gefallen und ich mochte auch die Mischung von biologischen Fakten mit philosophischeren Überlegungen. Dennoch hatte ich, die sich entwickelnde Beziehung zu ihrer Schülerin betreffend, etwas mehr erwartet.

Kennt ihr das Buch? Was war euer Eindruck?

 


Hier geht’s zum Buch

Der Hals der Giraffe von Judith Schalanksy

Suhrkamp

275 Seiten, 12 Euro (Suhrkamp Pocket)

978-3-518-46790-9

Sätze&Schätze hat das Buch ebenfalls rezensiert, sie gehen nur leider nicht auf die angedeuteten Gefühle ein. Trotzdem auf jeden Fall lesenswert!

2 Kommentare

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