"Baba Dunjas letzte Liebe" von Alina Bronsky
Rezension

„Baba Dunjas letzte Liebe“ von Alina Bronsky

Ein verlassenes Dorf in Tschernowo

Russland. Tschernowo nach einem Reaktorunfall. Das gesamte Umland ist verstrahlt. Wer jung ist, wer Kinder plant, wer noch eine Zukunft im Leben hat, der ist bereits seit langem fort. Nur die Alten sind zurückgekommen. Sie haben nichts mehr zu verlieren und sie haben keinen anderen Ort im Leben. Hier leben sie ein Leben fernab der Zivilisation. Ohne Telefon und Internet, ohne gute Versorgung. Der Bus in die nächste Stadt hält Kilometer vor Tschernowo, doch viele Lebensmittel brauchen sie nicht von außerhalb. Wenn der eigene Körper verstrahlt ist, was machen dann schon kontaminierte Lebensmittel? Und so ziehen sie das meiste, was sie zum Leben brauchen, im Garten an. Die Natur erobert sich derweil langsam den ausgestorbenen Ort zurück.

Doch was passiert, wenn die Welt da draußen mit der Unziviliation kollidiert? Welche Auswirkungen haben Zivilisation und die verstrahlte Gegend aufeinander?

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Baba Dunja war die erste, die zurückkam. Sie ist diejenige, die das Dorf zusammenhält, die Lebenswillen schenkt und praktische Lebenshilfe gewehrt. Ihre Tochter ging nach Deutschland, ihre beiden inzwischen erwachsenen Enkelkinder hat sie nie gesehen – Baba Dunja verlässt Tschernowo nicht und die Tochter könnte sie mit den Kindern nicht besuchen. Und nun ist Baba Dunja diejenige, an der die Zukunft Tschernowos hängt…


Baba Dunjas letzte Liebe

Ich hatte Baba Dunjas letzte Liebe ziemlich lange im Schrank stehen. Das lag vor allem daran, dass ich Lebenserinnerungen in der Regel nicht viel abgewinnen kann. Dieses kleine, feine Büchlein hat mich jedoch schnell eines Besseren belehrt. Als mir bei meinem Freund der Lesestoff ausging, habe ich mir seine Ausgabe geschnappt (lustiger Zufall eigentlich) und einfach mal angefangen. Bereits mit den ersten Seiten hat mich Baba Dunja so in ihren Bann gezogen, dass ich kaum aufhören konnte. Auf eine ruhige und dennoch glaubwürdige Art erzählt Bronsky hier von einem russischen Großmütterchen, die sich nach einer verheerenden Katastrophe ihre Heimat zurückerobert hat. In Tschernowo ticken die Uhren anders: Kein Telefon, kein Internet, kein Kontakt zur Außenwelt. Die Gemeinschaft der Alten lebt nicht miteinander, aber eben auch nicht gegeneinander. Jeder kümmert sich um seins, man lässt die anderen in Frieden. Aber natürlich kann solch ein Ort – inmitten der Zivilisation und dennoch irgendwie zeitlos – nicht lange von seiner Außenwelt unbeeinflusst bleiben.

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Der größte Teil des Romans entwickelt sich über den Dialog Baba Dunjas mit sich selbst und dem Leser, erst etwa im letzten Drittel bekommt das Buch eine Dringlichkeit. So vorhersehbar einige Entwicklungen sind, so ruhig und authentisch werden sie geschildert. Baba Dunja prägt die Erzählung durch ihre Art einfach sehr. Sie ist mit sich im Reinen und das fand ich unglaublich sympatisch an ihr! Dennoch hat mich gerade das Ende sowohl gerührt als auch hoffnungsvoll wie traurig gestimmt – irgendwie kam alles zusammen. Insgesamt einfach eine wunderbare kurze Erzählung!

Fazit

Ein berührendes Buch, unglaublich ruhig und eindrucksvoll geschildert! Eine starke Frau, die sich im Leben treu geblieben ist.


Hier geht’s zum Buch

Baba Dunjas letzte Liebe von Alina Bronsky

Kiepenheuer & Witsch

154 Seiten, 16 Euro (Hardcover)

978-3-462-04802-5

Direkt zum Taschenbuch (dieses Jahr erschienen, 8 Euro)

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